Mar 11, 2013

Review Rocktimes – 2013 CD Winther-Storm Spinnaker

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Winther-Storm: Spinnaker Rocktimes

Für alle ‘Binnenländer’: Ein Spinnaker ist ein frei fliegendes Vorsegel und somit habe ich sogleich den Brückenschlag zur Musik vollzogen. Freifliegend – ja, so klingt es bisweilen. Zum Vorgänger dieser Platte, Patchwork, hatte sich mein Kollege Joachim geäußert. Wir starten mit einem Herbstmonat, “Oktober” heißt der Eröffnungstitel, er besticht durch eine volltönende Gitarre, mit weiteren Soli von Saxofon und Bass, im Ausdruck stark erinnernd an jene Zeit, als Miles Davis vor seiner Fusionphase und John Coltrane mit ihrer modalen Spielweise von sich reden machten, wie verklärt dahintreibend, scheinbar emotionslos und dennoch Emotionen auslösend. Die ganze Platte ist durchzogen von dieser Atmosphäre, die jedoch immer wieder unterbrochen oder ergänzt wird durch andere Assoziationen oder Gestaltungsmöglichkeiten.

So treffe ich auf einen Sound, wie ihn John Surman und John McLaughlin auf der 1969 veröffentlichten Platte, “Extrapolation”, vorstellten, mit dem Unterschied, dass Sued hier nicht eine solch gestaltende Rolle am Saxofon einnimmt. Zudem fühle ich mich an jene Platte von Miroslav Vitous aus dem gleichen Jahr, “Mountain In The Clouds”, erinnert, die auch als “The Bass” oder “Infinite Search” veröffentlicht wurde. Grundsätzlich scheint mir die Musik stark in jener Zeit verwurzelt zu sein, als sich der Jazz der Sechziger in einer Aufbruchstimmung befand.

Der Titelsong ist eine klare Aufführung mit der E-Gitarre als Hauptakteur. Das Schlagzeug rockt schwer und löst sich ebenfalls abwechselnd in einen leichten Swing. Der Einsatz des Saxofons wirkt in diesem Umfeld eher etwas bieder. Auf “Middle North Codex” ist das, was der Gitarrist bietet, aus meiner Sicht dann doch etwas übertrieben. Im Gegensatz dazu werden hier für mein Empfinden unnötige Spielereien vorgeführt, die ich nicht für sehr beeindruckend halte. Der sechste Titel ist freier in seiner Gestaltung. Dabei werden Grenzen ausgelotet, aber nie überschritten – der Weg zum Free Jazz wird nur angedeutet. Eine feine Ballade wird uns mit “Longer” geboten. Sehr romantisch und leicht schwebend beinhaltet sie träumerische Momente, behutsam agiert die Band mit sensiblem Ausdruck.
Auffällig ist bei allen Titeln, dass mit Themen zur Einleitung gespart wird. Die jeweilige Atmosphäre der Stücke wird schnell umgesetzt, was natürlich dazu führt, dass ein bestimmter Wiedererkennungswert Mangelware ist – sicher mit Vor- und Nachteilen. Einen Wiedererkennungswert bescheinige ich mittlerweile jedoch auf jedem Fall Herrn Storm, der mit seinem leicht angezerrten Ton eine Rückschau auf die Sechziger bietet, mit einem großen Schritt in die Jetztzeit verbunden. Kein alltäglicher Jazz ist das – Elemente der Fusion sind selten, aber effektiv eingesetzt, so dass das Ergebnis ein mich zufrieden stellendes ist und mich dazu veranlasst, diese Platte all Jenen zu empfehlen, die einer besonderen Spielweise des Jazz gegenüber nicht abgeneigt sind. Also nichts für Puristen! Mir kommt die Musik insofern sehr entgegen, weil sie – ich wiederhole noch einmal – für mich sehr in der Stimmung der Sechziger positioniert erscheint.

Wolfgang Giese

www.rocktimes.de, 11.03.2013